Aus dem Fenster gelehnt
Die Kompetenzorientierung mitsamt der Lehrpläne richten mehr Schaden an, als das sie nutzen. Genauso wie standardisierte Prüfungen. Es sind allesamt Standards, die in keiner Weise zeigen, was in jungen Menschen steckt. Und die selektieren, indem sie bestimmte, vorgegebene Fähigkeiten aufwerten.

Mithilfe von Standards wird bewertet, was das Zeug hält, aber kein Mensch wird wirklich gesehen.

Aber es geht doch schließlich um’s Abi, irgendwann. Oder um welchen Abschluss auch immer.
Ich sage: Die derzeitigen Schulabschlüsse sind individualitäts-verneinende Prüfverfahren, die nur sehr wenig aussagen über den Menschen, der sie geschrieben hat.
Sie führen dazu, dass Potentiale, die nicht den Regelfächern und Standard-Curricula-Kompetenzen entsprechen, hinten rüber fallen.
Sie rauben Zeit und Nerven, von Kindern, Eltern, Familien.
Sie verhindern, dass Kinder und Jugendliche aus vollem Herzen „Nein!“ sagen dürfen, „Dazu habe ich keine Lust!“, und dass ihre Stimme gehört und respektiert wird.

Indem wir uns alle dem Joch der Lehrpläne und Kerncurricula unterwerfen, verändert sich nichts. Keiner traut sich, die Tafeln der in Stein gemeißelten Lernstandards die Klippe runterschubsen. Doch wir müssen „out of the box“ denken, wenn wir Schule wirklich verändern wollen. Wir müssen auf die Barrikaden gehen – trotz Beamtenstatus, und uns von diesen alten Fesseln lossagen.

Harald Lesch sagt: „Das menschliche Miteinander von Lehrern und Schülern kann aus jedem Klassenraum einen Garten der Freude, der Neugier und der Fantasie machen. (…) Aber dafür braucht es Freiräume, und natürlich viel Zeit.“

Alternativen zu Schulabschlüssen
Und es gäbe so einfache Alternativen: Aufnahmegespräche von Betrieben und Firmen, von Universitäten und Werkstätten: Was kann der Mensch vor mir, was interessiert ihn? Was macht ihn aus? Warum hat er Lust, hier zu arbeiten/zu studieren? Ob der Mensch dann 16, 18, 20 oder älter ist, interessiert die wenigsten. Bei unserer Lebenswerwartung ist noch viel Zeit.

So viele künstlich errichtete Hürden würden einfach wegfallen. Die „Standardkompetenzen“ in Mathe, Englisch, Deutsch – Rechtschreibung, das kleine Einmaleins usw. – werden in Zukunft sowieso Computerprogramme übernehmen.

Wozu also all der Stress? Wozu all die veralteten Zugangsbarrieren? Warum kann jungen Menschen nicht einfach die Welt offenstehen, ganz egal, was ihre Talente sind? Warum müssen sie derart viel Zeit verbringen mit der Beschäftigung mit Inhalten, die sie im Zweifel nur marginal interessieren? Was geht alles verloren, bei dem Versuch, sich zu fügen in bestimmte Erwartungen und Raster?

Jeder sein eigener Maßstab
Lehrer/innen können inspirieren, beflügeln, begeistern; Vorbild sein, Wissensquelle, Unterstützer, Experten. Mehr nicht. Wir können keine Ziele vorgeben, und wir dürfen nicht zu Ziel-Vorgebern werden. Wir dürfen Flügel verleihen, aber nicht stutzen. Denn was jemand für lernenswert erachtet, das hängt einzig und allein von ihm/ihr selbst ab, und von niemandem sonst.

Foto: pixabay

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8 Kommentare

  1. Danke für diese klaren Worte…
    Ich bin eine Hochsensitive und habe heute mit meinen 55 Jahren immer noch zu leiden unter Bewertungen ( obwohl ich einen sehr guten Notendurchschnitt hatte). In Prüfungen habe ich völliges Blackout.
    Die Freude am Lernen hat, Gott sei Dank, nicht darunter gelitten.

    • Liebe Kerstin, vielen Dank dir für’s Lesen und für dein Feedback. Die Freude am Lernen ist zum Glück alterslos und übersteht – mit Glück – selbst die Schulzeit ;-)… LG Linda

  2. Ich bin voll und ganz bei diesem Artikel! Aufrütteln und aufdecken von Altem ist wichtig und richtig. Nur mir fehlen Lösungsansätze. Wo bekomme ich hier Infos?
    Ich bin selbst Grundschullehrerin in einer öffentlichen Schule in Österreich. Gibt es hier schon ein Netzwerk?
    Ganz liebe Grüße

    • Liebe Maria! Wie schön, dass auch du Lust hast, etwas zu verändern! Es gibt schon Lösungsansätze und ein Netzwerk (jedenfalls in Deutschland), ich schreibe dir eine Email! Viele Grüße Linda

  3. Ich war in der Schule faul, hatte andere Interessen, bekam nicht die besten Zensuren. Für die Oberschule (heute Gymnasium) reichte es nach der 10. Klasse nicht. Danach Lehre und auf Wunsch meines Vaters parallel dazu Volkshochschule. Nach Abschluss Abitur und Lehre Studium auf einer Uni. Dort war ich einer der wenigen, die in den Jahren keine Prüfung wiederholen musste und einen guten Abschluss bekam. Neben dem Studium war noch Zeit genug, eine Familie zu gründen.
    Im Großen und Ganzen stimme ich dem Artikel zu, aber es bleibt eine Einzelmeinung.

  4. (…) Die unumgängliche Revolution des Bildungssystems kann von allen darin Verstrickten aufgrund der darin wirkenden Nötigungs- und Erpressungsstrukturen trotzdem in allen Instanzen schrittweise vorangetrieben werden. Das funktioniert nur über eine künftige Bewegung ausgesprochener Gehorsamsverweigerung! Dazu sollte eine ethisch ehrliche Bewegung immer von Neuem aufrufen. Vor neuen wirklichen Bildungszielen muß dem Gehorsam unbedingt die Loyalität verweigert werden, weil dessen Dominanz als Betrug an der Menschlichkeit empfunden wird und in seinem Stallgeruch solidarische Bildung unglaubwürdig ist. So ist über eine Phase der Doppelherrschaft alter Repression, die gleichzeitige Entwicklung zu solidarischer Begegnungsstätte nicht lange ideologisch zu behindern. Jeglich denkbarer Freiraum sollte dazu genutzt werden.
    Macht kaputt, was euch kaputt macht, um das endlich machen zu können, was euch erbaut.
    [dieser Kommentar wurde in Absprache mit dem Verfasser gekürzt]

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