Stundenfrage – ohne mich!
Wer sich nun vielleicht fragt, ob ich denn gar nicht mit einer „Stundenfrage“ arbeite. Nein, das mache ich ganz bewusst nicht. [Zur Erklärung: Eine Stundenfrage ist sozusagen das Thema der Stunde, sie lautet z.B.: „Welche Funktion haben Adverbien im Satz?“ oder „Was für Charaktereigenschaften hat die Hauptfigur der Kurzgeschichte XY?“] Diese Stundenfrage soll immer von den Schülern her kommen – so habe ich es zumindest im Ref gelernt. In Wahrheit jedoch kommt so eine Stundenfrage niemals wirklich von den Schüler/innen.
Ich habe es so wahrgenommen: Wir Lehrer/innen kitzelten am Anfang der Stunde solange mit gezielten Fragen herum – mit Bildimpulsen, Zitaten und anderen kreativen Einstiegsideen – bis halt irgendein Schüler die entscheidende Frage endlich nannte. Und der ganze Zirkus nur, um dann so zu tun, als käme die Frage tatsächlich von den Schülern. Für mich ist das Manipulation.
Wenn ich heute Stunden halte, habe ich natürlich ein Thema im Kopf und Material dabei – und sage das auch genauso. Außerdem nenne ich Gründe, warum ich das Thema gerade für wichtig und sinnvoll halte – ohne Rätsel-Raten, worum es wohl heute gehen könnte und ohne Pseudo-Motivation.

Das gute alte Lehrbuch – Pro und Contra
Vielleicht komme ich hier gerade als Lehrbuch-Hasserin rüber, aber dem ist gar nicht so. Ich selbst habe mir sogar gerade erst ein ziemlich dickes Lehrbuch besorgt – denn ich will eine neue Sprache lernen. Und dazu brauche ich einen Leitfaden, mit Verb-Tabellen und Erklärungen, um mir mein neues Interessengebiet zu erschließen – ich bin „old school“ und brauche „etwas in der Hand“.
Aber auch viele meine Schüler*innen brauchen, gerade für die Prüfungsvorbereitung, etwas in der Hand, und erhalten dies natürlich auch von mir (Übersichten mit Wortarten etc.).

Wenn aber ein/e Schüler/in besser auf anderem Wege lernen kann (z.B. mit Videos), ist auch das legitim. Aus diesem Grund gebe ich auch nur selten verbindliche „Einheits“-Hausaufgaben. In höheren Klassen und der Oberstufe schlagen meine Schüler/innen oft von sich aus Hausaufgaben vor, weil es sonst für die Stunde einfach zu viel ist. Zu meinem Umgang von Hausaufgaben gab es HIER schon einige Infos.

Der Spagat zwischen Lehrplan-erfüllen und sich-selbst-treu-bleiben
Ich unterrichte Deutsch und Englisch, weil ich Sprachen und Literatur liebe – und ich könnte den lieben langen Tag über Goethes „Faust“ philosophieren, jungen Menschen die Schönheit und Genialität eines Werkes wie „Romeo und Julia“ nahe bringen, oder großartige Romane und Lyrik der Gegenwart besprechen. Doch in den Lehrplänen und Schulbüchern findet sich kaum Platz für das Lesen großer Werke. Stattdessen stehen viele kleinschritte Aufgabenformate, Textauszüge und trockene Themen wie Satzglieder auf dem Plan. Diese kommen auch in vielen Abschluss-Prüfungen vor, und natürlich bereite ich meine Schüler/innen darauf vor und übe diese Dinge mit ihnen.

Es ist jeden Tag ein Spagat: Das abdecken, was Prüfungen und Lehrpläne fordern, um die Schüler/innen gut auf Arbeiten und Abschlussprüfungen vorzubereiten. Und auf der anderen Seite sich selbst treu bleiben, sowie die Interessen der jungen Menschen ernst nehmen.

Seit über vier Jahren bereite ich nun junge Menschen verschiedenster Altersstufen und Schulformen auf ihre Schul-Abschlüsse vor – klar geworden ist mir dabei, dass kaum ein Mensch neun oder 13 Jahre lang täglich sechs bis acht Stunden eine Schule besuchen muss, um so eine Abschlussprüfung zu bestehen. Innerhalb eines Jahres kann man sich meist sehr gut auf eine Abschlussprüfung vorbereiten – sogar dann, wenn wenig Vorwissen da ist.
Dies erzähle ich nicht, weil ich Schule für obsolet oder überflüssig halte, sondern, weil ich Mut machen möchte, auch an Schulen öfter mal die Lehrpläne wegzuschieben und das zu machen, was gerade „dran“ ist – sei im Leben der jungen Menschen oder in unserer Gesellschaft.

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