Gewalt auf verschiedenen Ebenen
An dieser Stelle sei vermerkt: An Schulen findet natürlich nicht nur Gewalt von Lehrkräften in Richtung ihrer Schüler statt, es geht auch Gewalt von Schülerseite aus – sei es untereinander oder in Richtung Lehrperson. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Auch ich bin schon auf drastische Weise von Schülern angegangen worden und fühle mit jeder Person mit, die so etwas erfährt.

Da es jedoch momentan (noch) so ist, dass ein Gros des Schulsystems von Erwachsenen gestaltet wird, sehe ich auch die Erwachsenen hier stärker in der Verantwortung als die Schüler und Schülerinnen. Erwachsene haben im System Schule mehr Gestaltungsspielraum als ihr Klientel – sei es bei der Unterrichtsgestaltung, der Pausenregelung oder bei Bewertungsverfahren.

Viele junge Menschen kommen außerdem aus Familienverhältnissen, in denen sie keine Chance haben, gesund und „in sich ruhend“ aufzuwachsen. Ein Satz, den ich kürzlich gelesen habe, bringt es auf den Punkt: „Bevor ein Kind Probleme macht, hat es welche“. Wir können daher von Kindern und Jugendlichen nicht erwarten, ihre Schwierigkeiten – sei es im Verhalten, im Umgang mit anderen oder im Umgang mit sich selbst – alleine zu lösen. Wenn Kinder Gewalt anwenden, ist das meist ein Hilferuf.

Wenn wir Erwachsenen, die wir über mehr Macht verfügen als Kinder und Jugendliche, diese bei schwierigem Verhalten bestrafen, machen wir die Opfer zum Täter. Was wir tun können: als Erwachsene verantwortungsvoll auf unser eigenes Verhalten schauen, und darauf aufbauend jungen Menschen eine Stütze sein.

Facetten von Gewalt im Unterricht
Gewalt im Unterricht zwischen Lehrkraft und Klasse hat heute viele Facetten: Lautwerden, bestrafen, drohen und ausgrenzen gehören dazu. All diese Methoden sind verletzend, bedrohlich und entwürdigend. Denn sie suggerieren einem jungen Menschen, dass er/sie nicht als Subjekt mit eigenem Wert, sondern als Objekt wahrgenommen wird, das sich seinen Wert erst erarbeiten muss.  Anerkennung und Akzeptanz bekommt er/sie erst, wenn er/sie sich Vorgaben entsprechend verhält. Sätze wie  „Wenn du jetzt nicht still bist, kannst du in der Pause drin bleiben“ oder „So wirst du dein Abi nie bekommen“ schüchtern ein und machen Angst, sie sind verbale Gewalt.

Auch unbedacht geäußerte Zuschreibungen wie „Du bist eine Einser-Schülerin“ oder „Dir liegt das Fach xy einfach nicht“ schlagen in die gleiche Kerbe. Traumatologe Franz Ruppert sagt: „Durch Zuschreibungen werden Menschen von anderen Menschen oder Institutionen mit Merkmalen belegt, die deren Zielen und Zwecken entsprechen. Eine Schulnote sagt nichts über die Identität des jeweiligen Kindes aus, sondern schreibt ihm einen Rang innerhalb eines Vergleichskollektives zu.“ (5)

Mein Körper gehört mir
Was ist mit körperlichen Grenzen und Befugnissen? Erst kürzlich erzählte mir ein Schüler, dass sein Deutschlehrer ihm mit einem Duden auf den Kopf „getitscht“ habe, als er eine Frage nicht richtig beantworten konnte. Ob ihm das nun weh getan hat, oder nicht – das Überschreiten einer körperlichen Grenze war da.

Genauso verhält es sich mit „Bewegungsaufgaben“ bei Fehlern: Ich habe es erlebt, dass Lehrer/innen junge Menschen um den Tisch laufen, auf Stühlen stehen oder Liegestütze machen lassen, wenn diese eine Antwort nicht wissen. Bei dieser sadistischen Form von „Lehrmethode“ werden Jungen und Mädchen nicht nur vorgeführt, sondern massiv in ihrer autonomen Willensbildung und Selbstwirksamkeit beschränkt.

Viele Schüler/innen empfinden es auch als bloßstellend, wenn sie nach vorne an die Tafel geholt werden, um dort vor der gesamten Klasse Aufgaben zu lösen oder Vokabeln anzuschreiben. Mir erzählte einmal ein ehemaliger Schüler, in ihm habe sich in dieser Situation „alles zugemacht“, er selbst habe dissoziiert und sei zu keinem klaren Gedanken mehr fähig gewesen.

Genauso fraglich erscheint der Drang einiger Pädagogen, junge Menschen dazu zu bringen, bestimmte Kleidungsstücke im Unterricht abzulegen. Auch hier werden körperliche Befugnisse verletzt, denn wenn ich jemanden dazu zwinge, die Cappy oder Kapuze abzunehmen, obwohl er/sie diese aufbehalten möchte, wende ich willensbeugende Gewalt („vis compulsiva“) an.

Ist doch nicht so schlimm?
„War doch halb so schlimm“, „Hab dich nicht so“, „Stell dich nicht so an“ sind Sätze, die die Erfahrung von Gewalt bagatellisieren. Hier wird Menschen ihr eigenes Gefühl (von Unwohlsein, Scham, Unsicherheit etc.) abgesprochen. Gerne fallen solche Sätze in Arztpraxen, aber auch im Sportunterricht. Dabei kann nur der/die Betroffene selbst wissen, ob und wie schlimm es – das Springen über einen Bock; das Vorgeführtwerden, wenn man etwas nicht kann – wirklich für ihn ihn/sie gewesen ist.
Ich selbst wurde häufig von einem Sportlehrer als Paradebeispiel dafür genommen, wie man bestimmte Dinge falsch macht – kein schönes Gefühl! Heute lachen wir auch bei Klassentreffen darüber, dass genau dieser Sportlehrer jedes Mal nach dem Sportunterricht unter einem Vorwand in unserer Mädchen-Umkleidekabine auftauchte. Auch, wenn das Ganze überhaupt nicht zum Lachen ist – Hauptsache kein Opfer sein.

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3 Kommentare

  1. Oh ich feier gerade hier auf deinen Blog gestoßen zu sein. Unerzogen in der Familie leben wir jetzt schon so lange und ich versuche diese Haltung gerade in meinen Schulalltag mit zu nehmen und wie das aussehen kann in diesem System erschloss sich mir an vielen Stellen noch nicht. Deine Seite ist für mich gerade der Denkanstoß schlechthin. Vieles habe ich schon genau so umgesetzt, anderes ändere ich jetzt noch. Ich danke dir von Herzen.

  2. Liebe Linda,
    vielen Dank für Deinen Artikel! Wie wahr! Ich kann, aktuell als Mutter einer 16-jährigen Tochter, die in ihrer Schulzeit öfter mit „Lehrer-Tätern“ in der Schule konfrontiert ist, und als Therapeutin, die überzeugt nach Franz Ruppert Methode arbeitet, den Inhalt deines Artikels nur bejahen! Ich werde ihn weiterleiten!
    LG Charlotte

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