4. Schüler/innen sagen, wie sie sein sollen
„Mach den Kaugummi raus“, „Nimm die Mütze ab“, „Füße vom Tisch“, „Setz dich mal gerade hin“, „Schau zur Tafel“, „Hör auf zu quatschen“, „Pass auf“, „Hör zu“. Ach, diese Liste ließe sich endlos fortführen… In meinem Referendariat wurde mir sogar abtrainiert, ein „bitte“ vor solche Auffordungen zu hängen. Wir Lehrer/innen neigen ja dazu, während unseres Unterrichts kurze Anweisungen dieser Art zu geben, sie rutschen einem dauernd raus – auch, wenn sie aus ihrem Kontext gelöst eher wie Hundekommandos anmuten: „Sitz! Platz! Beiß!“.
Wir geizen auch meistens nicht mit gut gemeinten Aussagen wie „Du könntest dich in Deutsch locker um eine Note verbessern, wenn du nur [mehr Rechtschreibung üben würdest]“, „In Englisch kommst du auf keine Zwei, solange du nicht [regelmäßiger Hausaufgaben machst]…“  „In den Gruppenarbeiten da könntest du noch viel mehr [Eigeninitiative zeigen]“.
Die dahinter liegende Botschaft sollten wir uns aber klar machen. Die lautet immer: So, wie du dich jetzt gerade verhältst/dich gibst/aussiehst, ist es noch nicht richtig, noch nicht perfekt, er reicht noch nicht (für eine 1).
Diese permanente Bewertung und Fehler-Suche führt dazu, dass wir Schüler/innen gar nicht mehr sehen können, als das, was sie sind: Wunderbare, perfekte, durch und durch „richtige“ Wesen. Ich sage es nochmal: Sie sind schon fertig, sie sind schon gut! Sie sind alles und bringen alles mit. Sie müssen nicht erst irgendetwas werden.
Ungefragt Rückmeldung geben ist unangebracht und unsensibel, selbst, wenn sie positiv ist. Ich sage ja auch nicht zu meinem Freund „das hast du toll gemacht, das Einparken“, oder „wenn du dich noch etwas mehr anstrengst beim Wäsche-zusammenlegen, dann kriegst du eine 1 von mir“. Na, schönen Dank auch. Da bekommt man richtig Lust, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Anders verhält es sich, wenn jemand ausdrücklich um eine Rückmeldung bittet: Wenn ich zum Beispiel Gitarre-Spielen lerne, und von meinem Lehrer wissen will, ob ich schon auftrittsreif bin. In diesem Fall können Lehrkräfte eine echte Hilfe sein und dazu beitragen, dass sich jemand nicht über- bzw. unterschätzt (und sich dadurch mitunter bloßstellt). Rückmeldungen dieser Art bringen Sicherheit, Realitätsbezug und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

5. Schüler/innen irgendetwas verbieten
Ob essen, trinken oder auf’s Handy gucken. Meine Schüler/innen dürfen dies alles. Warum auch nicht? Wen stört es, wenn ein Schüler im Unterricht vom Butterbot abbeißt? Klar, es hängt ab vom Essen — wenn es ein frischer Döner ist, gibts Probleme, denn hier werden alle anderen wahrscheinlich beeinträchtigt (stinkende Kleidung, unangenehmer Geruch, mitunter Vegetarier im Raum oder hungrige Kinder, die sich selber keinen Döner mit „einmal alles“ zum Frühstück leisten können).
Es gibt aber tatsächlich junge Menschen, die mich anfangs kleinlaut fragen, ob sie während des Unterrichts etwas Wasser trinken dürfen. Ähnliche vorausgegangene Horrorszenarien lassen sich erahnen, wenn Schüler/innen ganz höflich fragen, ob sie einmal zur Toilette gehen dürfen. Ich könnte dann jedes Mal heulen, weil ich fürchte, zu welch Gehorsam und übertriebener Rücksichtnahme diese jungen Menschen in der Vergangenheit konditioniert worden sind. Warum muss für die Erfüllung von Grundbedürfnisse wie essen, trinken und zur Toilette gehen eine Erlaubnis eingeholt werden? In was für einer Welt leben wir eigentlich?
„Die Kinder haben in den Pausen Zeit dazu“, höre ich dann manchmal. Nein, haben sie nicht! Denn die Pausen dauern nicht ewig, und manchmal gibt es in dieser begrenzten Zeit einfach Wichtigeres als Essen und zur Toilette gehen (zum Beispiel Fußballbilder-Tauschen oder mit dem neuen Freund aus der Parallelklasse knutschen). Da muss man abwägen. Junge Menschen haben außerdem häufig ein ganz anderes Zeitempfinden als wir Erwachsenen. Manchmal hat man auch in der Pause keinen Hunger, Durst oder Toilettendrang, zehn Minuten später in der Stunde dann aber schon. Ja, das gibt’s! Ich wünsche mir hier mehr Respekt für die Bedürfnisse der Unterrichtsteilnehmer/innen.
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Die nächsten 5 Punkte folgen in Kürze…

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2 Kommentare

  1. Hallo Linda!
    Dankeschön für deinen inspirierenden Blog!!!
    Ich habe eine Frage zu den mündlichen Noten: Muss man nicht laut Notenbildungsverordnung mündliche Noten geben? Hat sich da mal jemand bei Dir beschwert? Ich hasse die auch, dachte aber, ich muss welche machen?
    LG, Sara

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