„Ja, Mann! Das weiß ich doch alles schon – das hab ich schon tausendmal gemacht!“ pfeffert meine Schülerin mir entgegen. Wir gehen gerade Aufgaben einer Probeklausur durch, es geht um den Schulabschluss in Deutsch. Wir sitzen nebeneinander, ich ihr zugewandt, sie in sich gekehrt und mit düsterer Miene.
Ich schaue auf ihre kurzen Antwort-Sätze. Gerade habe ich erklärt, warum es besser wäre, die Prüfungsfragen so ausführlich wie möglich zu beantworten.

Ein kurzer, „tödlicher“ Blick in meine Richtung. Alles in ihr sagt: Ich bin zu Tode genervt.

Und ich?
Ich bin auch genervt, von dieser Art, von diesem Blick, von dieser „Null-Bock“ Haltung.
Am liebsten würde ich zurückpfeffern: Wie redest du eigentlich mit mir? Sei mal etwas höflicher! Ich bin schließlich deine Lehrerin!!

Und hier drücken wir mal kurz auf „stop“.

Realitätscheck
Wie man merkt, fällt es mir in solchen Situationen gar nicht leicht, ruhig zu bleiben. In mir schnellt Ärger hoch: Mensch nochmal! Ich rede mir hier den Mund fusselig, erkläre das extra nochmal, bin nett und freundlich, und überhaupt…

Äh, Moment… Es ist nett von mir, Unterricht zu geben?

Die meisten meiner Schüler/innen haben mich nicht darum gebeten, sie zu unterrichten.
Ich mache es einfach. Weil es mein Job ist. Weil ich „Spezialistin“ bin für meine Fächer. Weil ich gerne Zeit mit jungen Menschen verbringe. Und ich ganz nebenbei auch noch Geld dafür bekomme.
Und meine Schüler/innen?
Sie sitzen hier nicht etwa, weil sie so unfassbar gerne Zeit mit mir verbringen, oder sich gerne aus freien Stücken mit Deutsch- und Englisch-Prüfungsfragen beschäftigen. Sie sitzen hier mit mir, ganz einfach, weil sie zur Schule gehen müssen oder einen Schulabschluss brauchen.
Diese jungen Menschen können sich nicht aussuchen, WAS und vor allem von WEM sie etwas lernen wollen.

Ungefragt beliefere ich sie mit Informationen und Erklärungen, gebe Antworten auf Fragen, die sie nie gestellt haben. Kein Wunder, wenn man da genervt ist – wäre ich auch. War ich auch. So ungefähr 13 Jahre lang.

Das System zu verändern – so, dass junge Menschen sich Inhalte und Mentoren, von denen sie lernen wollen, selbst aussuchen können – das gelingt mir zwar (noch) nicht.

Was ich aber hinbekomme, ist, mich selbst zu verändern bzw. meine Reaktion zu hinterfragen. Und nicht so zu reagieren, wie ich es aus dem ersten Impuls heraus tun würde. Also: Warum macht es mich so wütend, wenn Jugendliche „frech“ sind?

Wut
Wenn ich wütend werde, ist das okay, ist halt meine Wut. Die hat erstmal nichts mit meiner Schülerin zu tun. Sie ist zwar der Auslöser für meine Wut, aber sie ist nicht dafür verantwortlich, dass ich so fühle. Erste wichtige Erkenntnis. Zweite Erkenntnis: Wie ich mit der Wut umgehe, ist ganz allein meine Verantwortung. Mist.

Denn hinter der Wut stecken meist unerfüllte Bedürfnisse. Was genau meine Wut generell „triggert“, dafür müsste ich wohl einen eigenen Blogartikel verfassen. Aber darum soll es an dieser Stelle nicht gehen.
Nur einen Gedanken von mir will ich aufgreifen, und der lautet: „Also, die traut sich was! Wenn ich damals so gewesen wäre, dann…“

Aha. Tatsächlich hätte ich mich wohl als Kind und Jugendliche nicht getraut, so entnervte Antworten zu geben – zumindest nicht gegenüber Lehrern. Dabei hätte es viiiiele Situationen gegeben, in denen ich das nur allzu gern gemacht hätte.

Meine Schülerin macht es einfach. Sie schleudert mir ihren ganzen Unmut ungefiltert entgegen. Eigentlich ein Vertrauensbeweis – würde sie sich das auch bei anderen trauen?

Vielleicht hat sie sich auch schon sehr lange sehr kooperativ verhalten (ohne, dass wir Erwachsenen es bemerkt haben) – und ist nun des Kooperierens und Nett-Seins einfach nur müde.
Egal, ob oder was davon zutrifft: So ein Perspektivwechsel erlaubt mir, meine „Ich-ärger-mich-Brille“ mal kurz abzusetzen.

The licence to teach?! Über unfaire Deals
Perspektivwechsel ist das Stichwort. Denn ich glaube, dass neben eigenen Bedürfnissen auch eigene Überzeugungen – die plötzlich auf unangenehme Weise von „frechen“ Schülern in Frage gestellt werden – für Ärger auf Lehrer-Seite sorgen.
Bei mir selbst konnte ich zwei „verdeckte“ Überzeugungen entdecken, die sich bei genauerer Betrachtung als ziemlicher Quatsch entpuppen:

1. Überzeugung: Schüler/innen sollten dankbar sein für Unterricht.

Ach, echt? Warum eigentlich? Weil Unterricht per se etwas Gutes ist? Weil wir Lehrenden es doch nur „gut“ meinen? Weil Kinder in ärmeren Ländern dankbar wären für diese all-round-Beschulung, die hier völlig umsonst möglich ist?

Ok, jetzt kommt’s: Mit diesen Argumentaten versuchen wir uns unseren Job und unsere Rolle schöner zu reden, als sie eigentlich sind. Denn Fakt ist: Zu uns kommt in der Regel niemand freiwillig.
Wenn wir erwarten, dass die von uns „Beschulten“ sich uns gegenüber nett und kooperativ verhalten, nur, weil wir ihnen „netterweise“ Wissensinhalte vermitteln, tun wir so, als wären wir hier die „Wohltäter“ – mit der Lizenz zu (be)lehren. Wir sind aber keine Wohltäter.

Wir tun in der Regel das, was uns aufgetragen wurde: nach Lehrplan unterrichten und auf Prüfungen oder Abschlüsse vorbereiten. Stoff vermitteln, erklären, begleiten durch Schuljahre voller Tests und Überprüfungen. Das können wir natürlich auf mehr oder auf weniger freundliche und würde-bewahrende Weise tun.

Doch selbst, wenn wir es auf sehr freundliche und reflektierte Weise tun, bedeutet das nicht, dass unsere Schüler/innen uns dafür irgendetwas schuldig wären.
Meine Schülerin ist mir weder zu Dank noch zu Nettigkeit verpflichtet – nur, weil mir es damit vielleicht besser ginge oder es das Ganze erleichtern würde.

2. Überzeugung: Schulabschluss gegen Mitarbeit – das ist doch ein fairer Deal.

„Klar möchte ich meinen Schulabschluss machen“, sagte meine Schülerin im Erstgespräch. In der Regelschule ging es für sie nicht – zu groß waren soziale Ängste und Konzentrationsprobleme. So landete sie schließlich bei uns, wo sie nun individualisierte Unterstützung erhält. Ein echt guter Deal für sie – könnte man meinen.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn genau genommen blieb dem Mädchen wenig anderes übrig, als unser Angebot anzunehmen. Sie ist 16 und somit nach wie vor schulpflichtig, irgendein Schulangebot musste sie also wahrnehmen. Von echter Entscheidungsfreiheit konnte hier kaum die Rede sein.

„Aber du willst doch deinen Abschluss machen. Deswegen bist du doch nun bei uns. Da musst du jetzt auch mitarbeiten.“ Darauf könnte ich die Schülerin nun festnageln. Was jedoch ziemlich gemein wäre – denn damit suggeriere ich, dass sie doch aus freien Stücken dem Ganzen zugestimmt habe und sie es doch sei, die den Abschluss machen möchte. Dabei gibt es genau genommen kaum eine andere Möglichkeit für sie. Das, was nach einer von beiden Seiten getroffenen „Einigung“ aussieht, ist in Wahrheit keine.

Schein-Kompromisse und das Streben nach Autonomie
Oft begegnen mir solche Situationen:
Der 13jährige, der mir mit funkelnden Augen entgegenschleudert: „Pff! Ich schreib das jetzt nicht ab! Das können Sie selber abschreiben, wenn Sie das so wichtig finden!“
„Ich mache diese bescheuerte Aufgabe jetzt nicht!“
„Ich hab doch schon gesagt, wie das geht, ich schreib das jetzt nicht extra nochmal dahin!“

All dies sind keine frechen „Trotz“-Reaktionen, um mir das Leben schwer zu machen, sondern es sind Versuche, sich ein Stück Autonomie zu erhalten in einem System, in dem so ziemlich alles vorgegeben ist.

„Hey, komm schon, wir machen jetzt noch fix diese zwei Seiten im Deutschbuch, und dann kannst du mir dein neues Videospiel zeigen, wenn du magst.“
„Ich möchte jetzt diese Aufgabe noch mit dir durchgehen, und dann können wir am Ende der Stunde noch ein Spiel spielen.“

Ein echter Deal bzw. ein Kompromiss, in den beide Parteien aus freien Stücken eingewilligt haben, sieht anders aus.

Konkret
Was habe ich nun in der Situation mit der „unhöflichen“ Schülerin getan?

Ich habe wahrscheinlich erst einmal ziemlich „angefressen“ aus der Wäsche geguckt.
Mir auf die Zunge gebissen.
Dreimal tief durchgeatmet. Aus dem Fester geschaut. Meine Wut etwas abflauen lassen. Gewartet. Mich im Raum umgeguckt. Einen Schluck Kaffee getrunken.
Und dann wieder meine Schülerin angeschaut.

Die saß mittlerweile mit gesenktem Kopf, am Bleistift kauend, wieder über ihren Aufgaben.
Und ganz plötzlich tat sie mir leid.
„Sag mal, was ist denn eigentlich los gerade?“ Die Frage war ernst gemeint.

„Es langweilt mich einfach so krass! Ich kann das doch alles schon mit diesen langen Antwort-Texten, das hab ich an meiner alten Schule schon x-mal gemacht. In der richtigen Klausur schreib ich da ja auch lange Antworten hin, da brauchen Sie sich keine Sorgen machen. Aber jetzt hab ich da echt keinen Bock drauf.“

Ich: „Achso, okay, das wusste ich nicht! Willst du die Aufgaben, die dich langweilen, überspringen und dort weitermachen, wo es schwieriger für dich wird?“

Schülerin (ruhiger): „Ja, wenn das geht, das wär gut..“

Viele Meinungen zum Umgang mit Teenagern
Ich lese so viel über den „richtigen“ Umgang mit Kindern und Jugendlichen:
Für Teenager soll man ein „Sparring Partner“ sein, der maximalen Widerstand (bei minimalen „Schaden“) liefert, sagt Jesper Juul.
Jugendliche brauchen trotz ihrer Autonomiebestrebungen Erwachsene, die ihnen die Richtung vorgeben, und die sie ermuntern, auch mal etwas Nerviges „durchzuhalten“.
Erwachsene können auch mal ein „Nein“ aussprechen, ohne dies ausführlich erklären zu müssen.
Ja, dies alles leuchtet mir ein, und dem stimme ich auch zu.

Wie ist es „richtig“? Bin ich zu nachgiebig?
Wäre es in dieser Situation dann nicht besser gewesen, „strict“ zu bleiben bei dem, was gefordert war – dass die Schülerin die Aufgaben der Deutschklausur ausführlich beantwortet?

Es stimmt: Alles einfach nur durchzuwinken, das ist weder Führung – und die brauchen junge Menschen tatsächlich – noch hilfreiche Begleitung.
Und wenn es mir WIRKLICH wichtig gewesen wäre, hätte ich wohl auch in dieser Situation „Nein“ gesagt.

Letzten Endes geht es um das Motiv hinter unserem Handeln.
Und wenn ich da ganz ehrlich bin zu mir selbst: Auch ich finde diese Aufgaben im Abfrageformat in Deutschklausuren zum Gähnen. Akribisches Suchen im vorgegebenen Text nach Zitaten, „erläutere, warum die Hauptfigur hier…“ – Schnarch!
Wenn wir Kindern die Lust an Literatur und am Lesen vergällen wollen, dann so.

Außerdem habe ich meiner 16jährigen Schülerin vertraut, dass sie durchaus ihre Gedanken ausführlich zu Papier bringen kann (wenn sie will) – und dass sie sich schon meldet, wenn sie merkt, dass sie hier Unterstützung braucht.

Wäre ich trotzdem bei meinem „nein, du machst das jetzt“ geblieben, hätte sie zwar ein „starkes Gegenüber“ gehabt, aber es hätte wahrscheinlich in einem seltsam anmutenden Machtkampf geendet – in dem ich nur die Rolle der strengen Lehrerin gespielt hätte. Das wäre gar nicht ich gewesen.

Vertrauen oder Kontrolle?
Wenn Erwachsene wissen, was sie wollen, und was nicht, gilt das meist als Tugend: Wir sprechen von willensstarken Persönlichkeiten, die sich nicht so schnell verbiegen lassen. Bei Kindern aber denken wir an Kategorien wie trotzig, rebellisch, frech oder unerzogen.

Wir Lehrenden sind es meist gewohnt, das „Sagen“ zu haben, die Hoheit über das Wissen und den Inhalt der Stunde. Von vielen erfahren wir außerdem Respekt für unseren stressigen, aufopferungsvollen Job.

Wer lässt sich das schon gerne wieder nehmen?

Kontrolle gibt Sicherheit. Doch wer kontrollieren will, der ist wenig offen dafür, dass sich das Gegenüber in ein autonomes, selbstbestimmtes Wesen entwickelt.
Das heißt, an der Weggabelung „Kontrolle versus Vertrauen“ ist es – so jedenfalls meine Erfahrung – konstruktiver, sich für Vertrauen zu entscheiden.
Das schließt das Vertrauen darauf mit ein, dass jeder Mensch am besten weiß, was für ihn/sie wichtig und lernenswert ist – auch, wenn diese Erkenntnis weh tut, weil sie gewisse eigene „Wahrheiten“ in Frage stellt.

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