Was tun statt strafen?
Seitdem ich nicht mehr große Klassen, sondern nur noch Kleingruppen unterrichte, wende ich keine  „Erziehungsmittel“ mehr an. Was mache ich stattdessen bei Schwierigkeiten? Ich gehe ins Gespräch. Mit den Schüler/innen. Manchmal auch mit ihren Eltern oder mit anderen Menschen aus ihrem Umfeld – nachdem ich mir das OK der/s Schüler/in eingeholt habe. Das ist keine Verhätschelung, das ist einfach nur respektvoll.

„Die reale Herausforderung für Lehrer heute ist keine intellektuelle: Lehrer müssen herausfinden, wie sie einen echten, wohlverdienten Respekt ernten.“ (Jesper Juul in „Aggression. Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist“, 2012)

Ich bin überzeugt, der erste Schritt in diese Richtung ist, respektvoll mit Schüler/innen umzugehen – und dazu gehört der Verzicht auf Belohnung und Bestrafung; also der Verzicht auf Manipulation.

Wie soll das gehen im Alltag?
Das mag euch, liebe Kollegen/innen, die ihr vielleicht 25-30 junge Menschen in euren Klassen habt, utopisch erscheinen. Ist es auch. Denn solange wir an Schulen immer noch mit bis zu 30 Personen auf engstem Raum arbeiten, ist Ohnmacht vorprogrammiert – und der altbewährte, zumindest kurzfristig auch wirksame Rückgriff auf Strafen und Belohnungen nicht weit.

Bei den Horden an Menschen, die sich in Klassenräumen und auf Schulhöfen befinden, kommt das Grundbedürfnis nach Sicherheit und Ruhe an allen Enden zu kurz. Und ohne Strafen und Belohnungen scheint es überhaupt nicht zu gehen.

Wenn ich auch nur eine einzige schulpolitische Forderung stellen dürfte, wäre es diese hier: Verkleinert die Lerngruppen!
Denn je weniger Menschen, desto besser können wir den einzelnen und die einzelne sehen und tragfähige Beziehungen aufbauen.
Das hieße auch: Stellt mehr Lehrer ein! Es werden Milllionen von Steuergeldern für Rüstungsunternehmen und unnötige Berater ausgegeben, und das macht mich einfach nur wütend, wenn ich mir überlege, was man an Schulen mit diesen Geldern alles zum Positiven verändern könnte…

Erste Schritte
Aber zurück zum konkreten Alltag. Wenn ihr Lust habt, versucht mal, darauf zu achten, wann ihr bestraft und belohnt. Bewusstmachen reicht anfangs schon. Ich habe es selbst nicht geglaubt, aber sich erst einmal nur zu beobachten hilft. Die Veränderungen kommen dann mit der Zeit fast wie von allein.


(1) „So kann unerwünschtes Verhalten reduziert werden, indem es mit unangenehmen Vorstellungen in Zusammenhang gebracht wird oder erwünschtes Verhalten (zum Beispiel durch Belohnung) gefördert werden.“  https://www.soft-skills.com/glossar/konditionierung/

(2) „Im Lexikon der Psychologie wird erklärt, dass diese Bezeichnung [Konditionierung] in der experimentellen Psychologie für den Erwerb von Verhaltensweisen durch Lernen verwendet wird. Lernen (…) bedeutet nicht ‘Einsicht’ sondern allein die Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens.“ Stangl, W. (2019). Stichwort: ‚Konditionierung‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. https://lexikon.stangl.eu/241/konditionierung/ (2019-07-28)

(3) „Jede Methode ist nicht nur überflüssig, sondern kontraproduktiv, weil sie die Kinder für ihre Nächsten zu Objekten macht.“ (Jesper Juul, „Dein kompetentes Kind“)

1
2
3

2 Kommentare

  1. Liebe Linda,

    Ich finde deinen Blog toll und teile auch deine Forderung nach kleineren Klassen!
    Ich kann das fordern, aber die Realität ist leider hier eine andere. 28 Kinder in einer Klasse und wie du selbst auch schreibst: es funktioniert nicht. Jeden Tag gibt es in der Grundschule unzählige Konflikte zwischen den SchülerInnen, man könnte den ganzen Tag damit verbringen, sie zu lösen. Aber man soll ja auch noch Lernziele erfüllen und Bildungsstandards erreichen. Es ist frustrierend in einem System zu sitzen, in gefühlter Ohnmacht.
    Ich kann es nicht ändern. Aber was sollen wir „normalo Lehrkräfte“ tun? Ich versuche auch Strafen und Lob zu verzichten. Aber es ist schwer, wenn alle anderen KollegInnen es anders machen und man als Referendarin dann aufgefordert wird, „härter durchzugreifen“. Wie soll man diesen Spagat schaffen, ohne sich dem Burnout zun Fraß vorzuwerfen?

    Ich freue mich auf neue Blogeinträge. Es wäre für mich sehr hilfreich, wenn auch inmer mal konkrete Situationen aus dem Alltag detailliert geschildert werden und wie sie lösbar sind.

    Liebe Grüße
    Charlotte

  2. Liebe Linda, was für ein toller Blog! Auch ich glaube, dass genau das die Richtung ist, die wir für die „neue Schule“ brauchen- ein menschlicher Umgang miteinander. Weg von den pawlowschen Hunden und den Bestrafungen und Sternchenheften. Ich bin gerade dabei, die „Family Lab“- Fortbildung zum Thema „Das wird Schule machen“ zu besuchen und praktiziere diese Ideen seit einiger Zeit auch in meiner Klasse. Endlich wieder echt sein und in Kontakt zu den Kindern! Und das tolle ist: Ich habe seitdem viel entspanntere Kinder dort sitzen, gehe hundert Mal lieber zur Schule und sogar die Lernergebnisse sind viel vertiefter, weil ich durch den angelegten „Lehrerinnenstress“ viel besser ins Unterrichtsgespräch komme und wir hundert Mal konzentrierter arbeiten und miteinander quatschen. Ich werde mir hier mit Sicherheit noch einiges ansehen. Danke für die Inspirationen! Liebe Grüße Julia

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein