Manchmal tue ich im Unterricht Dinge, von denen ich selber nicht so richtig weiß, warum ich sie tue. So habe ich mir seit einiger Zeit angewöhnt, selber mitzumachen beim Bearbeiten der Aufgaben, die meine Schüler im Unterricht bekommen. Konkret sieht das so aus:

„Unterstreiche alle Nomen im Text“, steht da auf dem Arbeitsblatt. Zack, hole ich Lineal und Stift raus und unterstreiche munter drauf los. Auch, wenn ich auf einen Blick sehe, welches die Nomen sind, und die Unterstreichung eigentlich nicht brauche – ich mache mit, so, wie es in der Aufgabe steht. Mein Schüler tut es mir gleich.

Neulich in Englisch: „You are in London, write a postcard to your friend.“ Gesagt, getan. Schließlich war ich schon dreimal in London und habe einiges zu erzählen (wahrscheinlich mehr als die Schüler, deren London-Wissen sich auf das Kapitel im Englischbuch beschränkt). Am Ende tragen wir alle vor.

In Deutsch stehen Bewerbungen auf dem Plan. Da ich schon allerhand Jobs in meinem Leben gemacht habe, bringe ich kurzerhand eine eigene Bewerbung mit, die ich ganz gut finde.

In Mathe ist heute Bruchrechnen angesagt? Ich rechne mit. Sozusagen live. Im gleichen Moment, in dem meine Schüler rechnen, rechne auch ich. Manchmal machen wir ein Spiel daraus – wer ist schneller fertig? Dann vergleichen wir.

Warum mache ich das nur?
Bin ich nicht ganz dicht? Habe ich nichts Besseres zu tun?

Besonders verrückt muss das Ganze für Außenstehende aussehen, wenn es um meine Lieblingsdisziplin geht – das Schreiben. Es kann vorkommen, dass mein Gegenüber und ich beide an unseren Bleistiften kauend verträumt aus dem Fenster schauen, während wir über den passenden Einstieg für eine Stellungnahme nachdenken. Oder uns gegenseitig die Bälle zuspielen, während wir laut nachdenken, und dann die beste der uns einfallenden Formulierung aufschreiben.

Ich liebe das. Wie in einer Denkfabrik höre ich in solchen Momenten die Gehirne malmen, es werden Wörter hin und hergedreht, und ich freue mich, wenn wir eine besonders gelungene Formulierung finden. Ruck zuck ist die Stunde um und der Text fertig. Einzelunterricht ist manchmal ein Segen – hier geht so etwas besonders gut.

Aber zurück zum Wesentlichen: Was mache ich da eigentlich? Handle ich nicht völlig unverantwortlich? Sollte ich die Schüler und Schülerinnen nicht alleine mit ihren Aufgaben lassen und hier und da meinen wissenden Blick über die Hefte gleiten lassen – mal um zu helfen und einen Tipp zu geben, mal um arge Fehler zu korrigieren?

Wenn ich meinen Seminarleitern im Referendariat erzählt hätte, dass ich es seltsam finde, wenn die Schüler etwas machen, und ich dabei nur zugucke oder „nur“ herumgehe und helfe – ich wäre wahrscheinlich fristlos entlassen worden. Job verfehlt.

Dabei war sie mir seit jeher zuwider: die Richtig-falsch-Schablone, die jeder Unterrichtsstunde und jeder Aufgabe zugrunde liegt. Und die Auffassung, dass ich als Lehrerin schon die „Lösung“ parat habe und somit nur noch als Kontrolleurin, Hilfestellerin oder Fehler-Finderin agiere. Wie langweilig, dachte ich mir damals schon. Doch womöglich steckt mehr dahinter als Langeweile.

Lernen durch Beobachtung und Nachahmung
Jüngst stieß ich auf eine Bemerkung, die mir mein Verhalten nicht mehr ganz so abstrus erscheinen ließ. In dem Buch „Jedes Kind ist hoch begabt“ beschreiben Gerald Hüther und Uli Hauser, wie kleine Katzen bestimmte Dinge lernen: durch Beobachtung und Nachahmung.
„Vor allem müssten die Jungen Gelegenheit bekommen, einer anderen Katze zuzuschauen, die das Mäusefangen bereits beherrscht“, heißt es da (1). Aha! Vielleicht bin ich ja die Katze, die weiß, wie man Nomen erkennt und unterstreicht?

Und weiter: „Menschenkinder müssen sogar fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt, durch eigene Erfahrung lernen. Eine neue Erfahrung macht ein Kind am ehesten, wenn es ein Problem hat und dann merkt, wie andere es lösen.“ (2)

Jetzt dämmert es mir: Indem ich mitmache bzw. es vormache, wie ich ein bestimmtes Problem löse – zum Beispiel, in dem ich Wörter im Kopf hin und her bewege, um einen Text zu formulieren, oder, indem ich zum Stift greife und Nomen unterstreiche – könnte ich mir vielleicht unbewusst diesen Mechanismus zunutze gemacht haben. Nach dem Prinzip „Ich beherrsche es schon und mache vor, wie’s geht.“ Nicht selten beobachte ich nämlich, wie selbst unmotivierte Schüler bei meinem Aktionismus auf mein Blatt schielen und schauen, was ich da mache, um dann selbst in Aktion zu kommen. Sollen sie nur!

Das würde meinem „sinnlosen“ Tun eine ganz neue Basis geben. Noch besser, Hüther und Hauser schreiben, wie fundamental wichtig es sei, Dinge mit jungen Menschen gemeinsam zu tun:
„Im gemeinsamen Tun erleben die Kinder etwas, was sie nicht erleben, wenn sie unterrichtet werden und wir ihnen mit den besten Absichten und den ausgefeiltesten didaktischen Verfahren etwas beizubringen versuchen. Sie erleben Glück in der Gemeinschaft.“ (3)

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2 Kommentare

  1. Sehr inspirierend! Es wird ja auch häufig gesagt, dass man die Aufgaben als Lehrkraft selbst einmal lösen soll, um sich in die Schüler und Schülerinnen hineinversetzen zu können. Dies dann gemeinsam im Unterricht zu tun und den Kindern offen zu zeigen, was ich selbst für Schwierigkeiten habe (Ich merke selbst im Grundschulbereich, dass ich nicht alles so eindeutig lösen kann.) und dann nach Lösungen zu suchen (und dabei wiederum Vorbild für die Kinder zu sein), erscheint mir wunderbar authentisch und ehrlich. Und so, wie du es beschreibst, denke ich, dass mit so einer Einstellung vielen der Druck genommen werden kann, der durch Perfektionismus entsteht. Ich habe für mich selbst auch festgestellt, dass ich weniger alleine im Voraus den Unterricht planen und Materialien vorbereiten möchte, damit die Kinder zum einen selbst erfahren können, wie viel Zeit/Aufwand die jeweiligen Aufgaben beanspruchen (ich habe z.B. versucht, mit Erstklässlern einen Salzteig herzustellen statt ihn komplett alleine vorzubereiten). Zum anderen nehme ich mir vor, mehr MIT den Kindern zu arbeiten, da es für mich wenig Garantie dafür gibt, dass das, was ich (vermeintlich) FÜR die Kinder erarbeite, tatsächlich auch von ihnen so verstanden wird und ihnen hilft. So wurde ja auch herausgefunden, dass man am meisten lernt, wenn man etwas selbst tut.

    Also danke für diesen und alle weiteren inspirierenden Artikel von dir, die mich daran erinnern oder mir bewusst machen, wie ich mir mein Arbeiten in Zukunft als Lehrkraft vorstelle. Ich bin gespannt, inwiefern ich diesen Vorstellungen weiter folgen kann, sobald es ins Referendariat geht.

    • Liebe Lisa, danke dir sehr für deine Gedanken und dein Feedback! Ich hoffe, du nimmst deine Einstellung mit ins Referendariat und kannst dort weiterhin „du“ sein. 🙂 Linda

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